„Gevatter Tod stets nebenan“ – Vortrag zu Hygiene auf dem Land
Helmut Fehler ermöglichte spannenden Rückblick auf die Entwicklung
Weikersheim „Hygieia“ nannten die alten Griechen die Göttin der Gesundheit. Die Äskulap-Tochter – Griechen und Römer verehrten Asklepios als Gott der Heilkunst, und sein von einer Schlange umwundener Stab dient bis heute weltweit als Mediziner- und Apotheker-Symbol – wurde zur Namensgeberin der der Gesundheit dienenden Künste. Die waren zwar in den alten Hochkulturen verbreitet, im teilweise doch sehr düsteren Mittelalter zumindest jenseits von Klostermauern vielfach vergessen. Und auf dem Land, wo Mensch und Tier nicht nur unter einem Dach, sondern zumindest in der kalten Jahreszeit oft genug sogar in einer einzigen Stube hausten, wo der Misthaufen oft genug auch zur Erledigung menschlicher Bedürfnisse diente, kaum auf einen Sicherheitsabstand zwischen Sicker- und Brunnenwasser geachtet werden konnte, hatten Ungeziefer, Bakterien, Viren leichtes Spiel. Seuchen – sie galten als Strafe Gottes – forderten immer wieder zahllose Opfer, noch bis nach der Wende zum 20. Jahrhundert mussten sich Familien damit abfinden, dass nur ein Viertel ihrer Nachkommen überhaupt das Erwachsenenalter erreichten. „Gevatter Tod in Form gefährlicher Krankheiten war ständig anwesend,“ berichtete Helmut Fehler in seinem gut recherchierten und spannenden Vortrag zur „Hygiene auf dem Land“. Der Einladung des Vereins „Tauberfränkische Volkskultur“ zu diesem Wintervortrag im „Uhu-Treff“ waren rund 30 Interessierte gefolgt – und während des über einstündigen Vortrags hatte offensichtlich niemand das Bedürfnis, auch nur einen kurzen Blick auf die Uhr zu werfen.
Dabei hatte sich Fehler zur Vorbereitung des Themas unter anderem auf zumindest beim ersten Blick eher trockene Literatur gestützt: die „Physikatsberichte“ der bayerischen Bezirksbehörden in Unterfranken. Es waren Beamte, zumindest teilweise vom Fach, die die im Auftrag und zur Berichterstattung an die Obrigkeit die Wohn- und Hygieneverhältnisse überprüften.
So berichtete ein Beamter anno 1856 über die Verhältnisse im damals noch kleinen Städtchen Brückenau, dass die Häuser weder gereinigt noch gelüftet würden, rußende Talglichter und Tabaksqualm gemeinsam mit den Ausdünstungen des Federviehs die Luft in den Wohnstätten regelrecht verpesteten – und dass „die Neigung zum Baden selbst bei den am Main wohnenden sehr gering“ sei. Trockene Berichte? Wohl kaum: den Anwesenden liefen regelrecht Schauer über den Rücken. Erst ab 1859, so Fehler, musste Gülle überhaupt aufgefangen werden, noch drei Jahre zuvor verfügten nur 15 Prozent der Höfe über ein WC. Üblich war das Plumsklo im Häuschen, von Badezimmern – oft gab‘s nur die Wanne in der Küche – konnte man damals nur träumen.
Dass die Schlafkammern für Knechte und Mägde karg ausgestattet waren, ist weithin bekannt. Dass sie oft gleich beim Stall oder auf der Tenne, direkt unterm mitnichten gedämmten Dach, wo auch Getreide- und Räucherfleischvorräte verwahrt wurden, lagen, lässt heute erschauern.
Nicht minder grausig ist die Vorstellung feucht verstockter Strohsäcke, Schimmel und Salpeterblüte an den Wänden, die Keuchhusten und Tuberkulose ebenso Vorschub leisteten wie Bettwanzen, Läusen, Flöhen, Mäusen und Ratten.
Wo das Brot karg ist und der Tierbestand das Überleben sichert, kümmert man sich zunächst um die Sicherung von Vieh und Ernte, weniger um die eigene Befindlichkeit: „Nicht selten wandernden Abtritten“ sollen die Füße der Menschen oft geglichen haben, so ein von Fehler zitierter Physikatsbericht.
In der Region, so der Referent, nutzte der aus Herbsthausen stammende Pfarrer Johann Friedrich Maier bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine Kupferzeller Kanzel, um den Bauern den Nutzen von Hygiene im Stall und an den Tieren nahe zu bringen. Für die Zweibeiner war lange eine nicht unbeträchtliche Schmutzschicht normal: In größeren Gemeinden betrieben Bader, die auch kleinere Verletzungen versorgten und Artikel für die Monatshygiene anboten, öffentliche Bäder. Dass der Beruf des Baders in Deutschland tatsächlich bis 1950 zu den Lehrberufen gehörte, hätte wohl kaum jemand gewusst.
Fehler ging auf die Entwicklung von Hygienevorschriften, die Bauentwicklung und die der medizinischen Forschung ebenso ein wie auf die Geschichte der Wäschepflege, die vor einigen Jahren der Verein Tauberfränkische Volkskultur beim „Waschtags“-Dorfmuseumsfest auf dem Marktplatz anschaulich dargestellt hatte.
Überhaupt: Das Dorfmuseum. Ab dem 1. April, wenn der Kornbau am Marktplatz wieder regelmäßig an den Wochenenden seine Pforten öffnet, ist im Tauberländer Dorfmuseum so manches zu bestaunen, was Fehler in seinem Vortrag, der sich auf die Entwicklungen in dem auf 1850 folgenden Jahrhundert konzentrierte, zur Sprache brachte. Ob Nachtstuhl, Badezuber oder Waschkessel, ob Strohsack oder die meist auch als Nachtwäsche getragenen Arbeitshemden, ob das Gatter fürs Jungfedervieh unterm Backtrog: All das zeigt anschaulich, dass die oft beschworene und eigentlich noch gar nicht so lange zurückliegende „gute alte Zeit“ oft alles andere als gut war.
„Erst die Mechanisierung ab 1950 ermöglichte den sozialen Fortschritt und den Wohlstand von heute“, so Helmut Fehler abschließend. Und auch der heutige Wohlstand habe seine deutlichen Schattenseiten: man denke nur an die den verschwenderischen Umgang mit Erdressourcen oder Verschmutzung der Umwelt, die selbst vor Arktis und Antarktis nicht Halt macht.
Artikel Inge Braune, veröffentlicht in den Fränkischen Nachrichten